Kleines Wort, Große Freiheit

Eine Sache die bei uns Menschen ziemlich universell veranlagt ist, ist der Wunsch nach Freiheit. Manchmal heißt es Sicherheit, manchmal Unabhängigkeit, andere nennen es Detachment (Losgelöstheit) oder Selbstbestimmung.
Doch im Grunde ist es überall das Gleiche, nämlich der Wunsch nach Freiheit, dass wir unser Leben und unsere Entscheidungen in der eigenen Hand haben. Dieses Freiheitsgefühl ist etwas, das sich wahrscheinlich die allermeisten wünschen.
Umgekehrt ist es eine der größten Quellen von Unglück und Unzufriedenheit, wenn wir das Gefühl haben, nicht frei zu sein, sondern von anderen Menschen, Umständen und Mächten bestimmt zu werden.
Ein Opfer äußerer Umstände will niemand sein, sondern viel eher ein*e Selbstbestimmer*in, der/die das eigene Leben nach den eigenen Wünschen und Vorstellungen kreiert. Aber wie kommt man da hin?
Eine wichtige Frage vorab ist, was eigentlich Freiheit überhaupt ist. Wann bin ich frei? Wenn ich eine Million Euro auf dem Konto habe? Wenn kein anderer Mensch sich auf mich verlässt? Wenn ich entscheiden kann, zu welcher Zeit ich morgens aufstehe? Wenn ich keine Verpflichtungen habe? Wenn ich mir keine Sorgen mache, wo ich schlafe, was ich esse und mit wem ich meine Zeit verbringe?
Ich bin in der Hinsicht ganz bei Viktor Frankl, einem besonderen Menschen mit einer sehr inspirierenden Geschichte und einem seiner bekanntesten Zitate:
„Die letzte der menschlichen Freiheiten besteht in der Wahl der Einstellung zu den Dingen.“
Viktor Frankl
Man kann uns vieles (vielleicht sogar alles) nehmen, aber nicht die Entscheidung wie wir mit dem umgehen, was uns passiert. Auch wenn es manchmal nicht so erscheint: Wir können in jedem Moment in die Lücke zwischen Reiz und Reaktion reingehen und unseren Umgang mit dem, was passiert, selbst bestimmen. Wir sind keine willenlosen Dinger, bei denen beim Drücken von Knopf A immer Reaktion B kommt, sondern Menschen, die über sich selbst bestimmen können und in dieser Fähigkeit liegt unsere Freiheit. Was um uns herum passiert, können wir vielleicht beeinflussen, aber letztendlich nie ganz kontrollieren. Unsere Reaktion aber liegt gänzlich innerhalb unserer Kontrolle und zwar in jedem einzelnen Moment – immer wieder aufs Neue.
Opfer oder Selbstbestimmer*in? Das kannst Du in jedem Moment selbst bestimmen. Und glaub mir, da gibt es mehr Möglichkeiten und echte Freiheit, als Du denkst.
Eine Hinsicht, in der wir sehr oft unsere Kontrolle abgeben und uns die Opferrolle selbst zuschieben, ist unsere Wortwahl.
Dafür will ich in diesem Beitrag ein Beispiel geben, das extrem viel Kraft in sich trägt. Und zwar das kleine, vielverwendete Wort „müssen“.
„Müssen“ heißt, keine andere Möglichkeit zu haben, als etwas zu tun. Wenn ich etwas tun „muss“, dann ist es die einzige Option, ansonsten würde ich es ja tun „wollen“, also mich aktiv dafür entscheiden. Nochmal: „Müssen“ = per Definition, dass etwas die einzige Möglichkeit ist.
Schauen wir uns doch mal ein paar Beispiele an, wie das Wort verwendet. Wenn ich in einer Schulklasse nach Beispielen frage, welche Dinge sie tun müssen, dann kommt zum Beispiel: „In die Schule gehen.“ Meine nächste Frage: „Hat Dich heute jemand aufs Fahrrad gebunden und in die Schule geschoben? Oder ins Auto getragen, festgebunden und dann im Klassenzimmer an den Stuhl gefesselt?“ Bis jetzt war die Antwort zum Glück noch nie ein Ja. 😊 Dann frage ich, ob es denn irgendwelche anderen Optionen gegeben hätte, als in die Schule zu gehen und jedes Mal (bis jetzt) kam der Aha-Moment.
Mit der Wahl des Wortes „müssen“ schieben wir die Verantwortung ab und uns selbst in die Opferrolle.
Denn natürlich gab es andere Möglichkeiten. Und das ist bei eigentlich jeder anderen Verwendung des Wortes „müssen“ genauso. Es gibt ein paar Grenzfälle (pinkeln, sterben, niesen o.ä.) aber in den allermeisten Fällen, wo wir sagen wir „müssen“ etwas tun, stimmt das nicht. Die Wahrheit ist, dass wir die Konsequenzen nicht tragen wollen, wenn wir anders handeln würden, aber das bedeutet wiederum, dass wir uns dafür entscheiden, es zu tun. Mit der Wahl des Wortes „müssen“ schieben wir die Verantwortung ab und uns selbst in die Opferrolle.
Denn in unserem Unterbewusstsein kommt jedes Mal an, dass wir die Entscheidung nicht selbst treffen/getroffen haben und das macht uns unglücklicher. Es macht keinen Spaß, Sachen zu machen, die wir tun müssen, denn das ist das Gegenteil von Freiheit.
Um das alles nochmal ins rechte Licht zu rücken: Jede Person darf selbst entscheiden, ob sie das Wort „müssen“ verwendet und es gibt sicherlich Kontexte in denen es sinnvoll ist (Verneinung, konditionale Zusammenhänge etc.), aber ich hoffe, ich konnte mit diesem Beitrag ein bisschen inspirieren und das Bewusstsein öffnen.
Denn unsere Freiheit liegt im Umgang mit den Dingen und da gehört unsere Wortwahl definitiv dazu. Bevor wir unsere Energie in Dinge verschwenden, die wir nicht kontrollieren können, ist es sicherlich nicht schlecht, darüber mal nachzudenken, insbesondere beim Beispiel „müssen“. Denn jedes Wort, was wir sagen, zählt und hat einen Einfluss auf uns und andere.
Schau doch mal, ob Du bemerkst, wann und wie Du „müssen“ sagst und ob das wirklich stimmt. Vielleicht fällt es Dir bei anderen auf und Du kannst auch darüber in einen Austausch kommen.
Vielen Dank fürs Lesen und zum Abschluss gibt’s noch einen weisen Spruch mit auf den Weg 😊 (ist im Original von Reinhold Niebuhr und von mir ein bisschen abgewandelt).
Habe die Gelassenheit, Dinge hinzunehmen, die du nicht ändern kannst,
den Mut, Dinge zu ändern, die du ändern kannst
und die Weisheit, das eine vom anderen zu unterscheiden.